Demokratie gestalten ist systemrelevant!

Öffentliches Statement Freiberuflicher in der emanzipatorischen Bildungsarbeit:

Die existenzbedrohliche Situation freiberuflicher Bidungsarbeiter*innen ist in der Öffentlichkeit unsichtbar. 

An dieser Stelle wollen wir kurz auf die Petition hinweisen. Die Soforthilfe muss auch für Einnahmeausfälle bei Feriberufler*innen genutzt werden können: https://weact.campact.de/petitions/corona-soforthilfen-beschrankungen-fur-soloselbstandige-und-freiberufler-andern?source=whatsapp-share-email-button&time=1586896233&utm_medium=recommendation&utm_source=rec-wa#signature-form.

Emanzipatorische Bildungsarbeit ist wichtig – gerade jetzt.

Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie sind zahlreiche Veranstaltungen, Seminare, Workshops der non-formalen  Bildung abgesagt oder auf unbestimmt verschoben. Das hat Folgen – für unsere persönliche Existenz und noch wichtiger: für die demokratische Gesellschaft.

Existenzielle Situation der betroffenen Bildner*innen

Machen wir’s kurz: Für uns sind fast alle Aufträge bis mindestens Juni ausgesetzt. Neue Bildungsveranstaltungen plant gerade niemand. Je nachdem wie sich die Lage entwickelt, schlittern wir dann direkt ins Sommerloch. Mit einer „normalen“ Auftragslage können wir frühestens ab September rechnen. Es ist allerdings auch dann nicht klar, wie sich die aktuelle Situation auf die Branche auswirkt: Gehen Auftraggebende insolvent? Werden wegen gekürzter Fördermittel und kanpper Zeit weniger Bildungsveranstaltungen durchgeführt? Nehmen zu wenig Teilnehmer*innen an Veranstaltungen teil, so dass diese wiederum auch abgesagt werden?

Als freie Bildner*innen arbeiten wir größtenteils im öffentlichen Sektor, in dem die Honorarsätze niedrig sind. Daher ist es uns kaum möglich Rücklagen zu bilden. Auch wir müssen jetzt Kinder Zuhause betreuen und Menschen unserer Familien und Communities pflegen. Freiberufliche Trainer*innen und Bildungsreferent*innen haben keine eigene Interessensvertretung oder Lobby. Unter uns bestehen große Unsicherheiten darüber, wer Zugang zu den Unterstützungsfonds hat und ob diese reichen werden. Unsere prekären Arbeitsbedingungen werden gerade jetzt besonders deutlich.

Systemrelevanz non-formaler emanzipatorischer Bildung

Bildung, die  vor allem außerhalb der Bildungsinsitutionen Erwachsene und Jugendliche zum selbstständigen Denken anregt, hat viele Themenbereiche: politische Bildung, transformative/partizipative Bildung, kulturelle Bildung, diskriminierungssensible Bildung, Bildung für nachhaltige Entwicklung, Umweltbildung, Medienpädagogik, internationaler Austausch, Berufsorientierung uvm.

Hier zu Lande versteht sich emanzipatorische Bildungsarbeit seither als Reaktion auf den Nationalsozialismus, weltweit ist sie Erwiderung gegen faschistische und totalitäre Systeme und wirkt als gelebte demokratische Praxis. Die aktuelle Krisensituation ist geprägt von sozialer Ungleichheit, verstärktem Nationalismus, dem Wunsch nach starker Führung und geschlossenen Grenzen.Sie verdrängt die rechtsterroristischen Anschläge der letzten Monate aus dem öffentlichen Bewusstsein. Grundrechte werden umfassend eingeschränkt und Parlamente außer Kraft gesetzt. Diese Entwicklungen müssen kritisch begeleitet werden. Bildung ist dabei von enormer Bedeutung. Sie arbeitet gegen soziale, ökonomische und ökologische Ungleichheit, für Gerechtigkeit und zeigt alternative Lebenskonzepte auf.

Hier ein paar Gründe, warum non-formale emanzipatorische Bildungsarbeit für eine demokratischer Gesellschaft unverzichtbar ist:

Wir machen Demokratie partizipativ erlebbar, indem wir in unserer Arbeit Räume eröffnen, um Aushandlungsprozesse zu lernen und Menschen zu ermöglichen, sich souverän zwischen Individualismus und Totalitarismus bewegen zu können.

Wir begleiten kritisch politische Entwicklungen und befähigen andere Menschen, dies auch zu tun.

Wir verteidigen die Würde aller Menschen in jedem Workshop.

Wir verbinden Geschichte und Gegenwart. Wir vermitteln zwischen sozial- und politikwissenschaftlichen Diskursen und konkreter Lebensrealität. 

Wir arbeiten mit diskriminierungs- und machtkritischem Anspruch.

Wir erhöhen die Sichtbarkeit marginalisierter Gruppen, indem wir Bildung mit, für und als diese anbieten. 

Wir verdeutlichen verschiedene Lebensrealitäten und Bildungszugänge. Wir arbeiten mit unseren Biografien. 

Wir tragen vielfältige Perspektiven in Schulen und Organisationen, die dort sonst nicht oder kaum sichtbar sind. 

Wir begleiten unter anderem die Auseinandersetzung mit den Zukunftsthemen soziale Gerechtigkeit, Globalisierung und Nachhaltigkeit.

Wir fördern soziale Kompetenzen: Umgang mit Konflikten, Kommunikation, Solidarität, Entscheidungsfindung.

Wir ermöglichen Bildung außerhalb formaler Strukturen und Familienzusammenhänge.

Wir arbeiten mit Methoden aus unterschiedlichen Disziplinen, denken diese intersektional und inklusiv . So gehen wirauf unterschiedliche Bedürfnisse und Möglichkeiten ein.

Wir entwickeln Methoden und Formate weiter.

Wir unterstützen kritische, emanzipatorische Strukturen.

Wir formen Bildungslandschaften, da wir als freiberufliche Bildner*innen mit unterschiedlichen Organisationen und Gruppen an vielen Orten zusammenarbeiten und somit verschiedene Akteur*innen der Bildungsarbeit vernetzen.

Unsere Arbeit macht Menschen zu handlungsfähigen Subjekten, die Gesellschaft aktiv gestalten. Diese Rolle können wir gerade nicht wahrnehmen. Es ist wichtig, das zumindest als Verlust deutlich zu machen und anzuerkennen, damit sich die politischen Ausprägungen der aktuellen Situation nicht als Norm durchsetzen. 

Emanzipatorische Bildungsarbeit ist systemrelevant – zumindest, wenn das System ein demokratisches sein soll.